Rede im Wiener Gemeinderat zum Rechnungsabschluss 2024 zur MA11

Sehr geehrte Vorsitzende, sehr geehrte Frau Stadträtin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Die jüngsten Schlagzeilen lassen keinen Zweifel: Die Kinder- und Jugendhilfe in Wien ist in der Krise!

Minderjährigen als Täter:innen von Gewaltverbrechen in den Medien, der erschreckende Vorschlag der NEOS zur „Zwangsunterbringung“ in Wohngemeinschaften und die Verankerung dieser Idee im Regierungsprogramm für die nächsten Jahre und die Hilflosigkeit der Stadtregierung zeigen eines deutlich:

Die bestehenden Strukturen versagen – und das auf ganzer Linie. Die rot-pinke Stadtregierung lässt die Schwächsten unserer Gesellschaft im Stich. Seit Jahren gibt es Berichte, Studien und Forderungen zur dramatischen Situation  – passiert ist so gut wie nichts. Das ist ein politisches Totalversagen mit Ansage.

Und dabei möchte ich klar herausstellen: es liegt nicht an den SozialarbeiterInnen, die in der MA11 und den WGs beschäftigt sind – diesen engagierten MitarbeiterInnen möchte ich an dieser Stelle danken für ihre Durchhaltevermögen und ihre Bereitschaft trotz der schwierigen Rahmenbedingung.

Danke für ihr Engagement, selbst wenn sie allein 50  Familien betreuen müssen, oder nach einem Nachdienst weiter dableiben – weil ein Kollege krank geworden ist.
DANKE für ihr Engagement für die Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt.

DANKE auch an die vielen Krisenpflegeeltern, die mitten in der Nacht Kinder übernehmen – auch mehr als geplant und dank an die Pflegefamilien, die Kinder in Not in ihre Familie aufnehmen.

„Kein Kind ist verloren, solange es jemanden gibt, der an es glaubt.“ – August Aichhorn
(Quelle: Anna Freud über Aichhorns pädagogische Haltung, 1960er)

Im Jahr 2024 wurden in Wien 13.181 Gefährdungsabklärungen durchgeführt – ein neuer Höchststand. In 1.056 Fällen mussten Kinder und Jugendliche in Krisenzentren oder Krisenpflege untergebracht werden. Die Zahl der Neuaufnahmen in „Volle Erziehung“ – also die dauerhafte Herausnahme von Kindern aus ihren Familien – liegt bei derzeit bei 615 Kindern und Jugendlichen pro Jahr.
ABER: es geht aus dem Bericht nicht hervor, wo die zusätzlichen Kinder untergebracht wurden. Die eh schon überfüllten Wiener Krisenzentren wurden offensichtlich noch ein bissl mehr zugestopft.

Krisenzentren  waren schon davor am Limit

Die Wiener Krisenzentren sind chronisch überlastet. Statt einem sicheren Hafen finden Kinder dort überfüllte Gruppen, erschöpfte Betreuerinnen und Betreuer und viel zu wenig Zeit für individuelle Betreuung. Das ist keine neue Erkenntnis: Der Stadtrechnungshof, die Kinder und Jugendanwaltschaft und auch die Volksanwaltschaft kritisieren regelmäßig, dass es zu wenig Personal, zu wenig Supervision und zu wenig Plätze gibt – Sie wissen: 10- 12 Kinder statt den zugelassen 8 Kinder (!), die schlafen zum Teil auf Matratzen am Boden, weil die Zimmer voll sind!
Und diese Probleme bestehen bis heute fort und wurde 2024 offenbar noch schlimmer.

Die MA 11, die für den Schutz von Kindern und Jugendlichen zuständig sein sollte, wirkt in ihrer aktuellen Form wie ein Relikt vergangener Zeiten: bürokratisch, defensiv, wenig lernbereit. Nicht erst seit der Reportage “Die Kinder aus Hernals” ist klar: Diese Abteilung braucht keine kosmetische Reform – sie braucht einen Neustart.

Wir Grüne Wien sagen: Es ist möglich, auch hochproblematische Jugendliche zu erreichen – aber nicht mit Wegsperren, Straflogik und Verachtung. Sondern mit Geduld, Fachlichkeit und einem grundlegend neuen Denken in der Kinder- und Jugendhilfe.

„Es geht darum, junge Menschen aus dem Sumpf zu heben – nicht sie darin zu vergraben.“ – sagt der österreichische Pädagoge und Psychoanalytiker August Aichhorn

Wir Grüne fordern daher zu handeln:

  1. Schließung überforderter Groß-Wohngemeinschaften

Groß-WGs mit acht und manchmal mehr Jugendlichen sind aus der Zeit gefallen. Für besonders gefährdete Jugendliche braucht es Einzelbetreuung, Auslandsprojekte und individuell zugeschnittene Wohnformen.
Raus aus dem Milieu – rein in die engmaschige sozialpädagogische Begleitung.

  1. Ausbau pädagogischer Angebote & faire Bezahlung

Streetwork, mobile Jugendbetreuung und niederschwellige, mehrsprachige Angebote müssen massiv gestärkt werden. Die Pädagog:innen brauchen endlich eine Bezahlung, die ihrer Verantwortung gerecht wird.

  1. Entbürokratisierung & Handlungsspielräume

Professionelle Arbeit mit hochbelasteten Jugendlichen funktioniert nicht mit Aktenschränken, sondern mit Vertrauen, Zeit und guter Supervision.

  1. Neuaufbau einer transparenten und lernfähigen Jugendhilfe

Eine neue MA 11 muss fachlich begleitet, evaluiert und mit ausreichend Ressourcen ausgestattet sein. Ein System, das Verantwortung übernimmt – statt sie abzuschieben.

  1. Schwerpunkt Prävention 

Wien braucht mehr spezialisierte Einrichtungen, Schutzkonzepte und Bildungsangebote zur Prävention. Besonders wichtig ist hier die Prävention von sexualisierter Gewalt – in Schulen, Heimen und Sportvereinen. Prävention ist Schutz. Aber auch der Ausbau der Frühen Hilfen ist für mehr Prävention notwendig.

Unser Appell:

Es reicht nicht mehr, auf neue Skandale nur mit Betroffenheit zu reagieren.
Die Stadtregierung muss endlich handeln – aus Verantwortung, nicht aus parteipolitischem Kalkül.
Wien braucht eine Kinder- und Jugendhilfe, die gerecht, inklusiv und wirksam ist.
Und sie braucht den Mut, endlich echte Reformen umzusetzen.

Es ist Zeit für einen Kurswechsel – für mehr Prävention, mehr Personal und mehr Qualität im Kinderschutz. Denn jedes Kind in Wien hat ein Recht auf Schutz, Geborgenheit und eine echte Zukunftsperspektive!

„Wer junge Menschen aufgibt, verrät die Gesellschaft, in der er leben will.“ – August Aichhorn

Danke für die Aufmerksamkeit!