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Schlagwort: Verfolgung

Rede zur Eröffnung des Jüdischen Filmfestivals in Wien

Guten Abend,

Ich möchte Ihnen zu allererst Grüße und Glückwünsche übermitteln: Vizekanzler Werner Kogler gratuliert zu 30 Jahren Jüdisches Filmfestival und auch Staatsekretärin Andrea Mayer gratuliert, obwohl sie leider nicht hier sein kann.

Sie ist auf dem Weg zum ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo morgen die neu gestaltete Österreich Ausstellung eröffnet wird. Eine Ausstellung, in der vor Ort erstmals vom Nachkriegsnarrativ von Österreich als reinem Opfer der Nazis Abstand genommen wird. Stattdessen wird hier jetzt auch die Mittäterschaft von vielen Österreicherinnen und Österreichern an den Gräueln und der Verfolgungen thematisiert.

30 Jahre Jüdisches Filmfestival, das ist ein Grund zum Feiern. Schon 30 Jahre präsentieren sie Einblicke ins jüdische Leben, in jüdische Geschichte und jüdische Erfahrungen im Alltag – das jüdische Filmfestival ist ein wichtiger Teil des Wiener Kulturlebens geworden.  Danke dafür.

Das heurige Motto „Trotzdem“ verweist aber auch auf die zweite Seite der Medaille, TROTZDEM verweist darauf, dass bis heute gesellschaftlich noch nicht erreicht werden konnte, was sich die Gründer 1991 erhofft hatten.

Lassen sie uns, lassen mich, die ich Historikerin bin, kurz zurückblicken: Was war die Situation 1991?

Es war das 5. Jahr von Kurt Waldheim als Bundespräsident,

Bundeskanzler Franz Vranitzky hatte in Reaktion auf den skandalösen Haider-Sager von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im 3. Reich“ seine berühmt gewordene Rede zu Österreichs Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus gehalten.

Und er hatte sich bei den Opfern und ihren Nachkommen namens der österreichischen Republik im Parlament entschuldigt.

Drei Monate später startete dieses Festival als Jüdische Filmwoche.

Jörg Haider hatte als Kärntner Landeshauptmann gehen müssen und kam wieder.

Das kann man auch bildhaft lesen, für die ganze Thematik der Vergangenheitsbewältigung. Es gibt leider keinen linearen Fortschritt in den Lehren, die wir aus der Katastrophe des Nationalsozialismus gezogen haben: Es ist keineswegs immer besser geworden.

Wir müssen uns jeden einzelnen Tag dem Bösen entgegenstellen, wie es Michael Köhlmeier in seiner beeindruckenden Rede 2018 im Parlament genannt hatte,

wir müssen uns jeden einzelnen Tag dem Bösen entgegenstellen – dem Antisemitismus, dem Rassismus, dem Autoritarismus, der Verrohung der Worte und der Taten.

Kultur spielt dabei eine essentielle Rolle. Festivals wie dieses hier schaffen Diskurs und Reflexion und damit eine wertvolle Basis für gesellschaftliche Veränderung.

Kultur alleine aber kann die Aufgabe nicht stemmen.

Wir haben mit der im Jänner von der Bundesregierung präsentierten „Nationalen Strategie gegen Antisemitismus“ ein sehr ambitioniertes Paket bekommen, das von der Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen, über die Bildung bis in die Strafverfolgung reicht. Doch bis das – hoffentlich – nachhaltig wirkt, wird es noch Zeit und viele Anstrengungen benötigen.

2021 stehen wir wieder einem massiven Anstieg von Rechtsextremismus und vor allem von Antisemitismus gegenüber: Die Antisemitismus-Meldestelle der IKG berichtete für das erste Halbjahr 2021 von mehr als einer Verdoppelung der ihr gemeldeten Vorfälle und von einem Höchststand seit ihrem Bestehen – also während der letzten 20 Jahre.
Auch die polizeilich erfassten rechtsextremen Tathandlungen sind in den ersten 6 Monaten2021 kräftig angestiegen, nämlich um 41% im Vergleich zum ersten Halbjahr im Jahr davor.

Und: Wien ist massiv betroffen.

Natürlich, weil viele Vorfälle während der hier abgehaltenen großen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen verzeichnet wurden, aber nicht nur deshalb.

Was wir uns dabei immer vor Augen halten müssen:

Die gemeldeten Vorkommnisse und die erfassten Straftaten sind nur die Spitze des Eisbergs.

Der Grad des Antisemitismus ist ein Seismograph unserer Gesellschaft:

In krisenhaften Zeiten steigt er.

„Die Juden“ – direkt benannt oder über Codes wie die „globalistische Elite“, Georg Soros oder Israel – sie stecken angeblich hinter der Pandemie, wie wir zuhauf lesen und hören müssen.

So schnell konnten wir gar nicht schauen, wie die alten Feindbilder als vermeintlich Schuldige dieser Pandemie wieder ausgegraben wurden. Und was als besonders geschichts-vergessen oder auch als besonders perfide einzuordnen ist: Diejenigen, die den Antisemitismus befeuern, stellen sich im selben Atemzug den Opfern der Shoa gleich und relativieren somit das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte.

Das heurige Festival hat einen bewussten und relevanten Schwerpunkt auf Karl Lueger und den Antisemitismus gelegt.

Mädchen mit rotem Mantel vor Lueger Statue

Wir alle werden uns wieder die Frage stellen müssen, wie es sein kann, dass im Jahr 2021 einem Antisemiten ein großer zentraler Platz der Stadt gewidmet ist. Und wie wir damit umgehen sollen.

Von einem bin ich jedenfalls überzeugt: dass es mit einer Zusatztafel allein nicht getan ist.

Ein herausragendes Beispiel wie eine Intervention gut gelingen kann, ist für mich das Mussolini-Relief in Bozen am ehemaligen „Haus des Faschismus“. Hier ist unter der Darstellung von Mussolini der Leitspruch der italienischen Faschisten angebracht: Credere, obbedire, combattere“ – „Glauben, gehorchen, kämpfen“.

Als Antithese dazu leuchtet seit 2017 über dem Relief ein Zitat der jüdischen Intellektuellen Hannah Arendt: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“

Hannah Arendt Schriftzug über Mussolini Relief am Haus des Faschismus in Bozen

Quelle © Ansa/Gemeinde Bozen

Möge dieses Festival, mögen die hier gezeigten Filme und die Diskussionen ein Anstoß für jenen Ungehorsam sein, den Hannah Arendt gemeint hat. Und mögen sie auch Anstoß sein, die Erinnerungspolitiken und manche Erinnerungsorte dieser Stadt zu überdenken – NEU zu denken und NEU zu gestalten.

Danke an alle, die diese Veranstaltungen möglich gemacht haben und

danke an alle, die daran mitwirken!

Shalom Oida!

(Dank an Andrea Stangl für die Zusammenarbeit)

Zur Diskussion zum Lueger Denkmal habe ich einen eigenen Beitrag geschrieben. 

tür auf tür zu – und schon wieder unterwegs ein mensch und wiedermensch…

Insayf Folder vorderseite

Semir insayifanlässlich des Tages der Menschenrechte liest Semier Insayif am 9.12.2014  aus seinem Roman Faruq in der Grünen Galerie 7

Eckdaten zu: semier insayif, geb.1965, lebt in wien als freier schriftsteller, kunst- und kulturmanager, kommunikations- und verhaltenstrainer
seit 1993 freier schriftsteller, lesungen und sprechperformances im in- und ausland, zahlreichen veröffentlichungen in literaturzeitschriften, kunstkatalogen, anthologien, im rundfunk, publikationen
mehr zu ihm hier

Löhr – Gedenktafel muss aus der Stiftskirche entfernt werden

Die Debatte um die „Kellernazis“ in den letzten Tagen hat uns wieder einmal vor Augen geführt, dass das Bewusstsein um die Vergehen der Vergangenheit nicht ausreichend verankert ist in Österreich.

Gedenktafel an Alexander Löhr in der Stiftskirche, Stand 25.9.2014

Gedenktafel an Alexander Löhr in der Stiftskirche, Stand 25.9.2014

Orte wie die Gedenktafel an Alexander Löhr direkt unter einem Gekreuzigten mit der Bildunterschrift „sie werden auferstehen“ zeigen den unsensiblen Umgang mit dem Thema und tragen nichts zur Aufklärung für folgende Generationen bei.

Sie unterstützen ein vertuschen der Rolle Österreichs und der deutschen Wehrmacht und ihrer österreichischen Generäle als Täter in diesem Krieg, dessen Verletzungen bis heute nachwirken.

Wir Grüne wollen hier in Neubau keinen öffentlichen Ort, der rechtsextrem Gesinnte anziehtund fordern stattdessen die Umgestaltung der Kirchennische und ein würdiges Gedenken der Opfer des Kriegsverbrecher Alexander Löhr

Als Historikerin und als Neubauer Grüne erwarte ich von der Stiftskaserne – die mit der Stiftskirche in Zusammenhang steht – einen sensiblen Umgang mit dem Thema. Die Nische in der Kirche muss umgestaltet werden, damit der historische Kontext klar wird und auch klar ersichtlich ist auf welcher Seite die Verantwortlichen heute stehen.

Die Stiftskaserne hat in den letzen Jahren bei anderen Projekten zu historischen Themen im Bezirk Offenheit bewiesen und wir sind überzeugt dass sie auch in diesem Fall einen angemessenen Umgang finden wird.

Alexander Löhr war Militarist. Schon im ersten Weltkrieg wurde er mit dem Aufbau einer Luftwaffe beauftragt. Er entwickelte diese in den 20er Jahren weiter, obwohl das Österreich nach dem Versailles Verträgen verboten war. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an die Wehrmacht wurde Löhr übernommen und stieg zum General auf. Als Kommandant der Luftflotte 4 war er für die Bombardierung Warschaus 1939 verantwortlich. Durch seine gezielte Zerstörung der Wasserversorgungseinrichtungen verursachte er bei diesem Angriff eine unverhältnismäßig große Menge an zivilen Opfern. 1941 ließ er Belgrad – ohne Vorwarnung und daher völkerrechtswidrig – bombardieren und wurde. Ab 1943 war er für Verfolgung und Belagerung in Griechenland, Serbien und Kroatien verantwortlich und damit auch für die Deportation von mehr als 48.000 Jüdinnen und Juden nach Treblinka und Auschwitz, ebenso wie für die Hinrichtung von 5000 Kriegsgefangene in Kefallonia.

löhr alleNach einem Prozess in Jugoslawien wurde Alexander Löhr 1947 in Belgrad hingerichtet.

Noch mehr zur Aktion auf Harald Walsers Blog

Ceija Stojka – Platz – zum ersten Mal in ganz Europa wird ein Platz nach einer Romni benannt

Ceija Stojka lebte nach dem Krieg in Neubau. Als tiefgläubige Katholikin besuchte sie  regelmäßig die Altlerchenfelder Kirche. Der Platz vor der Kirche trägt seit September 2014 ihren Namen.

juni2010 175 - KopieDie autodidakte Sängerin, Autorin und Malerin hat jahrzehntelang dafür gearbeitet, die Verfolgungsgeschichte der Roma und Sinti im Nationalsozialismus zu thematisieren und das Unrecht sichtbar zu machen. In regelmäßigen Workshops – viele davon in Neubau, insbesondere im Amerlinghaus – hat sie als eine der ersten alte und junge Menschen für die Verfolgung und die Geschichte der Roma und Sinti in Österreich sensibilisiert.  Ihr Werk ist voller Hoffnung auf eine gemeinsame, friedliche Zukunft – ungeachtet der Herkunft und frei von gesellschaftlichen Zuschreibungen.

Karteikarte der GESTAPO zur Erfassung der Daten von Ceija Stojka nach ihrer Verhaftung

Karteikarte der GESTAPO zur Erfassung der Daten von Ceija Stojka nach ihrer Verhaftung

Ceija Stojka kam 1933 als Kind von fahrenden Lowara aus dem Burgenland ind er Steiermark zur Welt. 1939 wurde ihre Familie zunächst zur Sesshaftigkeit gezwungen. Sie lebten in Wien, auf der Wiese neben dem heutigen Kongressbad in einer Baracke. 1943 wurde Ceija Stojka noch als 10-jähriges Kind mit Ihrer Mutter und ihren Schwestern ins KZ Auschwitz verschleppt. Später kam sie nach Ravensbrück und schließlich nach Bergen-Belsen, wo sie das Kriegsende erlebte. Von ihrer beinahe unüberschaubar großen Familie (zumindest 250 Mitglieder) überlebten nur sie, ihre Mutter, 2 Schwestern und 2 Brüder. Nach dem Krieg kam sie nach Wien zurück.  Ceija Stojka lebte bis zu ihrem Tod in Wien Neubau.

Aus dem Zyklus ...selbst der Tod hat Angst vor Auschwitz. Tuschezeichnungen.

Aus dem Zyklus …selbst der Tod hat Angst vor Auschwitz. Tuschezeichnungen.

1988 schrieb Ceja Stojka ihr erstes Buch „Wir leben im Verborgenen“. 2001 und 2005 entstanden in Zusammenarbeit mit der Regisseuse Karin Berger einfühlsame Porträts über Ceija Stoika. Sie wurde mehrmals ausgezeichnet – neben dem Bruno Kreisky Preis für das politische Buch 1993 , erhielt sie 2001 das Verdienstkreuz des Landes Wien.

 

 

Als Vorsitzende der Kulturkommission freut es mich besonders, dass wir es geschafft haben vor der Lerchenfelder Kirche nicht nur einen Platz partizipartiv zu planen, sondern darüber hinaus mit der Platzbenennung ein wenig bekanntes Kapitel der Neubauer Geschichte ins Licht zu rücken.

ceija stojka platz ceija stojka platz-nuna

 

 

Unbemerkte Zeugnisse der Vergangenheit – sichtbar gemacht

Anlässlich der Tafelenthüllung zur Erinnerung an das ehemalige Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis (WUG VII) in der Hermanngasse 38/Ecke Burggasse

Wer heute in der Hermanngasse 38 vorbei geht erkennt nichts Spezielles: das Gebäude aus dem Jahr 1820er Jahren beherbergt inzwischen einen privaten Kindergarten, einen privaten Hort und Wohnungen. Nichts erinnert mehr dran, dass hier ein Untersuchungsgefängnis der NS Militärjustiz beherbergt war. Mit einer Tafel wird die Funktion und Geschichte des Gebäudes nun öffentlich gemacht.

Ursprünglich war das Haus vom Schottenstift als Versorgungs- und Waisenhaus geplant und gebaut worden. Ab 1850 zog hier das Bezirksgericht für Mariahilf und Neubau ein. Das Haus verfügte dafür über Amtsräume, Gerichtssäle und im Inneren des U-förmigen Baus waren mehrere Arrestzellen eingerichtet. Das Bezirksgericht wurde in der ersten Republik übernommen. 1932 übernahm die Polizei das Haus zur Gänze, das Bezirksgericht zog aus. Während der Novemberpogrome 1938 wurden hier kurzfristig Juden und Jüdinnen aus den Umlandbezirken festgehalten.

Wann genau das Haus als Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis umgewidmet wurde, ist nicht belegt. Spätestens 1944 wurden hierher Häftlinge verlegt, die schon verurteilt waren und auf ihre Verlegung in ein anderes Gefängnis warteten. Auch zu Tode verurteilte warteten hier. Auch die GESTAPO durfte auf das Gefängnis zugreifen. Das WUG VII war Teil eines 5-teiligen Netzes von Gefängnissen über ganz Wien verteilt. Die zentrale befand sich in Favoriten.

Wie hoch die Belegung in den 40er Jahren war, ist leider nicht belegt. In der ersten Republik boten die Zellen 40 Personen Platz, zusätzlich gab es eine Isolierzelle. Insgesamt lässt sich sagen aber sagen, dass hunderte Häftlinge in der Hermanngasse eingesessen sind. Noch während der letzten Kriegsmonate wurden die Häftlinge schrittweise „evakuiert“.

Nach der Befreiung 1945 übernahm das Schottenstift das Gebäude wieder. Seit 1984/85 wird hier ein Pfarrkindergarten betrieben. 2010 wurde das Gebäude grundlegend saniert und umgebaut. Die ehemaligen Zellen wurden damals zu Wohnräumen umgebaut.

Bis heute wissen nur wenige über die wechselhafte Geschichte des Hauses und seine Verwendung in der Zeit des Nationalsozialismus und davor. Dank Matthias Lichtenwagner wurde die Geschichte dieses Hauses und das System der Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisse in ganz Wien näher beleuchtet. Weitere Details zum Haus und zum System der Militärjustiz in Österreich finden sich hier.

Am 8. Mai 2014 um 9.30 Uhr wird vom Bezirk in Zusammenarbeit mit dem Schottenstift und dem Bezirksmuseum direkt am Haus eine Gedenktafel enthüllt, die die Geschichte des Hauses dokumentiert.

Eröffnung Ausstellung Widerstand in LerchenfeldParallel dazu präsentiert das Bezirksmuseum Neubau in der Stiftgasse 8 den ganzen Mai über die Ausstellung „Widerstand und Wehrmachtsjustiz in Neubau“. Sie beleuchtet Hintergründe der Wehrmachtsjustiz und die brutale Verfolgung derjenigen Männer und Frauen, die sich dem Dienst in der Wehrmacht entzogen.

Richard Wardani  war selbst Deserteur und langjähriger Aktivist für die Gerechtigkeit für Opfer der Militärjustiz mehr dazu: http://www.pk-deserteure.at/index.php?id=5

Richard Wardani war selbst Deserteur und langjähriger Aktivist für die Gerechtigkeit für Opfer der Militärjustiz mehr dazu: http://www.pk-deserteure.at/index.php?id=5

 

Die Ausstellung will damit auch das am Wiener Ballhausplatz geplante Deserteursdenkmal ins Bewusstsein rücken.

Veranstaltungen:

  • Tafelenthüllung : 8:Mai 9.30 Uhr , Hermanngasse 38
  • Ausstellung im Bezirksmuseum; Stiftgasse 8. Bis 31.Mai 2014
    geöffnet: Do 16.00 – 18.00 Uhr und Sa 15.00 -17.00 Uhr und auf Anfrage unter 06648317446

Iris Andraschek tattooiert Frauenbiographien in den öffentlichen Raum

„Tell these people who I am“  Drei Interventionen im öffentlichen Raum in Wien Neubau

(meine Rede zur Eröffnung der ersten Intervention von Iris Andraschek )

Einladung AndraschekZwar konnten wir in den letzten Jahren 3 neugestaltete Parks bzw Plätze nach Frauen benennen und ihnen damit einen Erinnerungsraum schaffen. Aber in Neubau gab es bisher kein von einer Künstlerin gestaltetes Denkmal im öffentlichen Raum. Das soll sich mit den 3 Interventionen im öffentlichen Raum von Iris Andraschek nun ändern.

Am Anfang waren es die Frauenspaziergängen, die die Grünen und Madeleine Reiser als Vorsitzende der Kulturkommission für Neubau schon 2003 beauftragten, und gemeinsam mit Petra Unger umgesetzt haben. Im Zuge Petra Ungers Recherchen dafür, sind wir auf viele historisch interessante Frauen gestoßen, die hier im Bezirk gelebt oder gearbeitet haben. In der weiteren Entwicklung dieses ersten Projekts ist nun das heute zu eröffnende gestanden:

lerchenfelderstrWir wollen und wollten einigen dieser vielen in Neubau tätigen Frauen Erinnerungsplätze zu schaffen.

Also Plätze, die einerseits sie und ihre Werke vorstellen. Und damit auch ein schwarzes Loch erhellen, in das fast alle aktiven Frauen der Geschichte verschwinden. Gleichzeitig war es auch intendierter Wunsch, aktuellen Bildhauerinnen, die Möglichkeit zu geben hier ein Zeichen zu setzen. Statt nur zu erinnern, setzt sich diese Projekt auch zum Ziel einen Konnex in die Gegenwart zu schaffen. Frauen-Geschichte von aktuell aktiven Künstlerinnen interpretiert ist das Ziel.

anraschek füsseIm Kulturbereich werden in Neubau ca. 70% der Förderungen an Vereine von Frauen oder die mehrheitlich von Frauen besetzt sind vergeben. Allerdings die Künstlerinnen, die bei uns um Unterstützung einreichen, kommen zumeist aus dem Darstellenden Bereich – also Performances, Theater, Musik – Bildende Kunst ist sehr wenig vertreten. Gerade in der bildenden Kunst gibt zwar viele Studierende aber nur ganz wenige Künstlerinnen, die wirklich den Durchbruch in die öffentliche Wahrnehmung schaffen.

stiftkaserneWir waren also interessiert an Interventionen im öffentlichen Raum, die von den vorbeischlendernden PassantInnen nicht unbedingt als „Denkmal“ im klassischen Sinn wahrgenommen werden. Es geht auch darum die ständige Interaktion, das ständige Hineinwirken des Vergangen ins heute zu thematisieren. Es sollen Orte sein, an denen ein Mädchen heute steht und gestärkt wird in seinem Selbstbewusstsein, eigene Ideen zu verwirklichen. Ein Ort, an dem eine Frau sieht, dass sie eine Geschichte hat: denn

Jede Frau ändert sich, wenn sie erkennt, dass sie eine Geschichte hat!,

wie die Grand Dame der Frauengeschichte Gerda Lerner immer wieder feststellt.

Tell this people who I am-b7bea369Ein Teil der Geschichte von Frauen und ihrem Leben und Arbeiten in Neubau können wir mit diesen Kunstwerken von Iris Andraschek ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Es ist absolut wichtig, dass Frauen nicht nur im Museum sichtbar werden als Künstlerinnen, wie es die guerilla girls schon seit 20 Jahren in den USA propagieren, sondern auch und gerade im öffentlichen Raum, an den Orten, wo sie gelebt, gearbeitet haben und es noch heute tun.

Öffentlicher Raum klingt immer so, als wäre er riesig, als gehörte er wirklich allen und hätte keine Grenzen. Die Realität sieht anders aus:

Im  öffentlichen Raum, in Wien, ist das Geschlechterverhältnis, bzw. die Repräsentation von Frauen gemessen an ihrem tatsächlichen Anteil an der Gesellschaft, ähnlich wie in der Kunst. Alleine im 7. Bezirk tragen von etwa 70 Straßen- und Ortsbezeichnungen 28 Flurnamen bzw. Geographische Bezeichnungen, 26 Männernamen, 5 Berufsbezeichnungen und nur 2 die Namen von Frauen. Von den 7 Denkmälern im öffentlichen Raum, die im Denkmalamt aufscheinen, erinnert nur eines an eine Frau, an die Schauspielerin Hansi Niese. Das Denkmal steht vor dem Volkstheater.

fraueneinladungDie Gesellschaft hingegen setzt sich aus ca. 51,8 % Frauen und 49,2 % Männern zusammen. Diese knapp 52% haben von der Vergangenheit bis in die Gegenwart die Gesellschaft gestaltet und geprägt. Sie haben als Künstlerinnen, Lehrerinnen, Geschäftsfrauen, Wissenschaftlerinnen Forscherinnen, Politikerinnen Unternehmerinnen und und und…. das Leben im Bezirk mitbestimmt. Es scheint aber eine kollektive, nicht ausgesprochene Übereinkunft zu geben, sei zu vergessen. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass von all diesen Frauen keine oder nur wenige Spuren zu finden sind. Wir erinnern uns an sie. Ja. Ihre Familien, die Freunde, die Menschen aus ihrem Umkreis. Aber für alle sichtbare öffentliche, die Zeiten überdauernde Erinnerungen werden nicht geschaffen. Und wenn man dann erinnern möchte, ist das wiederum gar nicht so leicht. Ich denke hier an den Jenny Steiner Weg, der 350 Meter Luftlinie entfernt ist. Bis wir den Weg nach Jenny Steiner nennen durften und dann auch noch eine Zusatztafel anbringen konnten, die versucht ein ganzes Leben in 3 Sätze zu packen, was natürlich nicht möglich ist – bis das so weit war, da haben die Mühlen der Stadt sehr langsam und sehr knirschend gemahlen. Aber: Jetzt haben wir einen öffentlichen Weg mehr, der nach einer Frau benannt ist und wir wollen natürlich noch mehr. Bis es soweit ist, werden wir Frauen im Bezirk einen Teppich ausbreiten, der dauerhaft an sie erinnern wird. andraschek_tatooiertAllein aufgrund der Tatsachen, dass die Teppiche der Künstlerin Iris Andraschek in den Boden tätowiert, gefräst werden. Ein Tattoo, ist eine Entscheidung für ein ganzes Leben. Die Teppiche, Bodentattoos, sind zumindest eine Erinnerung auf die Dauer des Lebens einer Straße in Wien Neubau. Das wird einer unserer Beiträge sein, für die Sichtbarmachung und die Erinnerung an Frauen im öffentlichen Raum in Wien. Im 7. Bezirk.

„Tell these people who I am“ 3 Interventionen von Iris Andraschek wird am 13.10. 2011 um 16.00 Uhr vor der Stiftskaserne feierlich eröffnet.

Ab Herbst 2011 wird es in die Rundgänge der KÖR aufgenommen und so auch regelmäßig mit mehr Hintergrund vorgestellt.

Details zu Iris Andraschek (sie wurde in einer eigenen Rede von Elke Krasny gewürdigt):

olly schwarzIris Andraschek 1963 in Horn geboren, lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Wien. Sie ist Mitglied der Wiener Secession und Foto Fluss. Neben zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen hat sie auch eine Vielzahl an Projekten im öffentlichen Raum umgesetzt: u. a. DER MUSE REICHT’S, Arkadenhof der Universität Wien,  ALS DAS WÜNSCHEN NOCH GEHOLFEN HAT, Platzgestaltung, Taufkirchen an der Pram.

 

 

Die Orte und zu erinnernden Frauen

  1. Stiftgasse 2, 1070 Wien Olly Schwarz (1877 – 1960), Frauenrechtlerin, Gründerin der Wiener Handelsschule für Mädchen und des Athenaeums, Hochschule für Frauen. Sie gründete 1916 die Zentralstelle für weibliche Berufsberatung. Im Austrofaschismus wird sie „in Pension“ geschickt. Sie engagiert sich ab 1933 in der „Liga für Menschenrechte“.
  2. Augustinplatz, 1070 Wien Vally Wieselthier (1895 – 1945), Keramikerin, Bildhauerin, Designerin, Mitarbeiterin der Wiener Werkstätte, ab 1927 künstlerische Leiterin der Keramikabteilung. Sie geht 1932 nach New York und beeinflusst weiterhin die Keramikproduktion der Wiener Werkstätte.
  3. Lerchenfelderstraße 131, 1070 Wien Gisela von Camesina de San Vittore (1865 – ?) in Triest als Tochter eines österreichischen Beamten geboren und zur Lehrerin ausgebildet. Nachdem sie als Fachlehrerin die Unterrichtsanstalten in Dresden, Stuttgart und Berlin besucht hatte, rief sie 1884 ein ganz neues Unterrichtssystem zur gewerblichen Ausbildung erwachsener Mädchen in Wien ins Leben. Zudem richtete sie im Jahre 1886 als erste Lehrerin in Europa die Unterrichtsabteilungen Technologie, Hygiene und Krankenpflege ein und legte denselben ihre selbst verfassten Lehrbücher zu Grunde.

 

 

Jenny Steiner – Kunstmäzenin und Fabriksbesitzerin

Der Name tauchte in den letzten Jahren vor allem in Zusammenhang mit Kunstrestitutionen aus dem Museum Leopold auf. Bis heute befindet sich hier das Gemälde „Häuser am Meer“ von Egon Schiele, das ursprünglich aus dem Besitz Jenny Steiners stammt. Bis heute warten ihre Nachkommen auf eine Rückgabe. Bis heute konnte man sich in Österreich auf keine angemessene Vorgangsweise zur Rückgabe der 1938 und später geraubten Kunstwerke jüdischer BürgerInnen einigen.

Wir können geschehenes Unrecht nicht wieder gut machen, aber wir können durch die Benennung im öffentlichen Raum ein kleines Zeichen setzen und unsere Wertschätzung für eine Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, die eine wichtige Stütze der Wirtschaft und des Kulturlebens in Neubau und der Stadt Wien war.

Die Vorgeschichte: Die Seidenfabrikantin Jenny Steiner war Mitinhaberin einer der größten Seiden- und Stoffmanufakturen von Wien in den 20er und 30er Jahren mitten im 7. Bezirk. Ihre Fabrik befand sich in der Westbahnstraße 21. Nach dem frühen Tod ihres Mannes führte sie gemeinsam mit ihrem Neffen Albert Steiner das Familienunternehmen weiter. Die Qualität ihrer Stoffe war berühmt. Als moderne Unternehmerin war sie auch um das Wohl ihrer MitarbeiterInnen bemüht, so finanzierte sie zum Beispiel Werks-Wohnungen.

Privat war Jenny Steiner – wie ihre ganze Familie – sehr an Kunst interessiert. Sie sammelte alte Meister und beauftragte viele Arbeiten von Gustav Klimt und auch einige von Egon Schiele. Das Gemälde „Häuser am Meer“, das sich bis heute in der Stiftung Leopold befindet, ist eines von ihnen.

1938, nach dem „Anschluss“, wurde das gesamte Vermögen Jenny Steiners und ihre Kunstsammlung vom nationalsozialistischen Staat eingezogen. Jenny Steiner selbst konnte über Frankreich, Portugal und Brasilien in die USA fliehen.

Die als Eugenie Pulitzer am 11. Juli 1863 in Budapest geborene, verstirbt 95-jährig am 2. März 1958 in New York.

 

 

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